Interview mit Musa Cicek

 

Musa Cicek, Vizepräsident der DTU, kann mit seinen 40 Jahren eine Biografie vorweisen, vor der man einfach den Hut ziehen muss. Wie ehrgeizig er seine Ziele verfolgt, wird beispielsweise an seinem beruflichen Werdegang deutlich. Zunächst absolvierte er erfolgreich zwei Lehren, eine im Bergbau, eine weitere an der Uni Dortmund, heute drückt er für sein Elektrostudium wieder die Schulbank. Ähnlich erfolgreich verlief auch seine Karriere als Wettkämpfer, die er 1992 nach den Olympischen Spielen in Barcelona beendete. In seiner aktiven Zeit wurde er zwei Mal Europameister, Dritter bei der Weltmeisterschaft 1989 und vier Mal deutscher Meister. Nach einigen Jahren als Landestrainer von Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt wurde er zum Bundestrainer ernannt. Vor drei Jahren wählte man ihn zum Vizepräsident (Wettkampf).   
Dass sich aus Deutschland gleich vier Athleten für die Olympischen Spiele in Peking qualifizieren konnten, ist mit Sicherheit kein Zufall. Im Gespräch mit Musa Cicek versucht Peter Bolz, den Schlüssel für das Erfolgsrezept zu finden.




PB:
Hand aufs Herz, haben Sie mit diesem Erfolg gerechnet?


MC:
Nein, natürlich nicht. Allerdings habe ich bei der vergangenen Weltmeisterschaft in Peking gesehen, dass einige aus unserem Team in der Weltspitze mithalten können. Deshalb habe ich mir schon Hoffnungen gemacht, dass sich zumindest zwei Sportler/innen für die Olympischen Spiele qualifizieren können.    


PB:
Wie wichtig war denn der Erfolg beim Weltqualifikationsturnier In Manchester?


MC:
Nachdem sich Levent Tuncat in Manchester in der 58-kg-Klasse qualifizieren konnte, ist dem gesamten Team natürlich eine riesige Last von den Schultern gefallen. Dort sah es übrigens auch so aus, als ob sich auch noch Helena Fromm qualifizieren könne. Leider hat sie sich dann im Halbfinale einen Kreuzbandriss zugezogen. Beim entscheidenden Kampf um den dritten Platz musste Bundestrainer Markus Kohlöffel deshalb das Handtuch werfen.


PB:
Mit welchem Ziel sind Sie denn nach Istanbul geflogen?


MC:
Uns war klar, dass Istanbul eine ganz schwere Nummer wird, da viele europäische Wettkämpfer in Manchester die Qualifikation nicht geschafft  hatten. Die Türkei und Spanien, also mit uns die stärksten Nationen in Europa, sind in Manchester leer ausgegangen. Wir haben deshalb gehofft, dass wir uns in Istanbul noch eine Qualifikation für Peking holen.


PB:
Nach der Auslosung sah es für das deutsche Team eigentlich gar nicht so gut aus, oder?


MC:
Ich muss zugeben, dass mir die Auslosung Kopfzerbrechen bereitet hat. Dass Sümeyye Gülec gleich im ersten Kampf gegen die dreifache Weltmeisterin aus Spanien antreten musste, war für uns schon ein Schock. Und bei Daniel Manz sah es eigentlich auch nicht so rosig aus, denn spätestens im Halbfinale hatte er es mit Dennis Bekkers, den amtierenden Europameister und WM-Dritten aus Holland zu tun. Daniel hat gegen ihn zwar schon mal gewonnen, aber trotzdem ist der Holländer eine harte Nuss. Und bei der Pinar Budak, die eine Klasse höher startete, stand die große Frage, ob sie sich gegen ihre körperlich größeren Gegnerinnen durchsetzen kann.


PB:
Welche Rolle spielte denn in Istanbul das Glück?


MC:
Das ist eine schwierige Frage. Ein bisschen Glück gehört beim Sport wohl immer dazu. Aber wenn man seine Hausaufgaben nicht gemacht hat, dann kommt man auch mit Glück nicht zum Erfolg. Gegen eine dreifache Weltmeisterin oder einen Europameister kann man nicht mit Glück nach Punkten gewinnen.
Dass sich die Sümeyye gegen die Weltmeisterin durchsetzen konnte, war ein ganz wichtiges Signal. So ein Sieg puscht in einem Team alle nach vorne.


PB:
Woher kommt denn dann der Erfolg des deutschen Teams?  


MC:
Nach dem Debakel vor vier Jahren war uns allen klar, dass wir uns auf die Qualifikation noch intensiver vorbereiten müssen. Dazu muss man wissen, dass die finanzielle Förderung durch das Bundesministerium des Inneren ganz wesentlich am Erfolg bei den Olympischen Spielen gemessen wird. Da für den deutschen Taekwondosport sehr viel auf dem Spiel stand, sind wir bei der Vorbereitung auch keine Kompromisse eingegangen.


PB:
Wie lief denn die Vorbereitung ab?


MC:
Insgesamt haben wir ein umfangreiches Konzept aufgebaut, dass wir auch konsequent umgesetzt haben. Letztendlich ging es uns darum, dass wir bei unseren Sportlern nicht nur auf die körperliche Fitness achten, sondern auch die Psyche und das Umfeld mit einbeziehen.


PB:
Das klingt ziemlich abstrakt. Wie kann man sich so etwas praktisch vorstellen?


MC:
Zunächst haben wir mit unserem Topkader enorm viele Lehrgänge durchgeführt, unter anderem auch in Venezuela, den USA und in Mexiko. Dort haben unsere Kämpfer im Gespräch mit den anderen Nationen mitbekommen, dass die Technik alleine für den Erfolg nicht reicht. Es muss auch mental alles passen.
Daneben haben wir sehr früh damit begonnen, die Heimtrainer in die Vorbereitungen mit einzubauen. Da ich aus meiner aktiven Zeit noch weiß, wie wichtig der Kontakt zwischen Sportler und Heimtrainer ist, haben wir in Manchester und in Istanbul auch alle Heimtrainer mitgenommen. Letzten Endes hat uns der Erfolg recht gegeben.


PB:
Wird denn jetzt automatisch jeder Heimtrainer zu den wichtigen Turnieren eingeladen?


MC:
Nein, auf keinen Fall. Da es letzten Endes um den Erfolg geht, ist es mir wichtig, dass der Heimtrainer auch in das Team passt. Wenn die Chemie nicht stimmt, behalte ich mir das Recht vor, einen Heimtrainer daheim zu lassen. Ein Streit oder eine Missstimmung im Team würde den ganzen Erfolg gefährden.  
In Manchester gab es am Rande auch schon Unstimmigkeiten wegen Dingen, die bei der Jugendweltmeisterschaft in Vietnam vorgefallen sind. Diese Querelen haben sich damals schon negativ auf die Stimmung im Team ausgewirkt. Auch wenn es manchen Leuten nicht bewusst ist, aber genau solche Dinge sind für den Erfolg oder den Misserfolg von entscheidender Bedeutung.  


PB:
Wie sieht es denn mit der Psyche aus?


MC:
Unsere Spitzensportler müssen alle mit einem unvorstellbaren Erfolgsdruck leben, denn wir alle erwarten von ihnen, dass sie die Qualifikation für Peking schaffen. Es ist gar nicht so einfach, mit so einer Erwartungshaltung zu leben. Und dabei hilft den Sportlern während der Vorbereitung Werner Mikler. Er ist Psychologe beim Olympiastützpunkt Köln-Bonn und hat auf diesem Sektor enorme Erfahrungen, von denen unsere Leute profitieren.


PB:
Sie haben auch noch das Umfeld als wichtigen Teil des Erfolgskonzepts angesprochen. Was hat es denn damit auf sich?


MC:
Dabei geht es im Wesentlichen um die duale Lebensplanung. Damit ist gemeint, dass große Erfolge nur dann möglich sind, wenn ein Sportler weiß, wie es nach Beendigung der sportlichen Karriere weiter geht. Aus diesem Grund haben Udo Wilke und ich viele Gespräche mit den Arbeitgebern unserer Sportler geführt. Für Levent, der in Duisburg eine sportorientierte Schule besucht und im nächsten Jahr sein Abitur machen will, haben wir beispielsweise vereinbart, dass bei einem Auslandsaufenthalt seine Hausaufgaben per Email in die Schule schicken kann.    


PB:
Weil gerade der Name von Udo Wilke genannt wurde - wie wichtig ist denn die Arbeit unseres Sportdirektors?


MC:
Ich bin mir absolut sicher, dass unsere Erfolge ohne Udo Wilke nicht möglich gewesen wären. Sein Organisationstalent und seine Erfahrungen sind Gold wert. Da ich tagsüber meinem Beruf nachgehe und an fünf Tagen in der Woche mein Abendstudium für Elektrotechnik absolviere, bin ich ihm für seine Unterstützung unendlich dankbar.    


PB:
Was war denn jetzt der Schlüssel zum Erfolg?


MC:
So etwas kann man nicht an einer Person oder an einer Situation festmachen. Ich bin absolut davon überzeugt, dass man bei so großen Dingen nur dann erfolgreich sein kann, wenn man auf ein professionelles Team zurückgreifen kann. Wenn einer in diesem Team seine Aufgabe nur halbherzig wahrnimmt oder sich einer zu wichtig nimmt, kann das nicht funktionieren.


PB:
War das der Grund, dass Deutschland vor vier Jahren niemand zur den Olympischen Spielen schicken durfte?



MC:
Ja, meiner Meinung nach war das genau der Knackpunkt. Da ich damals auch im Team war und alles hautnah miterleben durfte bzw. musste, habe ich mir vorgenommen, dass die Fehler von damals nicht wiederholt werden dürfen.


PB:
Welche Fehler meinen Sie denn?


MC:
Damals war einfach zu viel Unruhe im Team. Es gab keine klaren Absprachen, was zum Teil auch der Auslöser für kleinere Streitereien untereinander war. Die Kommunikation und vor allem auch die Chemie haben einfach nicht gestimmt.
Dadurch wurde deutlich, dass es immer um das Team geht und nicht um die Interessen eines Einzelnen.


PB:
Wie passt denn eigentlich die Thekla Oetjens-Breitenfeld in das ganze Konzept?


MC:
Thekla passt wunderbar in unser Konzept. Sie wird als Kampfrichterin auf allen wichtigen internationalen Turnieren eingesetzt und hat deshalb auch enorme Erfahrungen. Wenn man aus erster Hand erfährt, weshalb die Kampfleiter auf der Fläche die eine oder andere Entscheidung treffen müssen, ist das überaus nützlich.


PB:
Kommen wir mal auf die Nominierung zurück. Viele haben sich gewundert, dass die Pinar Budak nicht in der Damenklasse bis 57 kg an  den Start gegangen ist, sondern in der Klasse bis 67 kg.


MC:
Die Idee dazu kam von Bundestrainer Markus Kohlöffel. Sein Schachzug bei der Nominierung hat sich im Nachhinein als genial erwiesen. Bei einer Qualifikation sichern sich nämlich die Nationen einen Platz in der jeweiligen Gewichtsklasse. Wir können deshalb entweder Pinar Budak oder Helena Fromm nach Peking zu den Olympischen Spielen schicken.


PB:
Dann ist die Pinar Budak nicht automatisch in Peking dabei?


MC:
Nein, bis jetzt hat noch keiner von unseren vier Topkämpfern/innen die  Nominierung für Peking in der Tasche. Wen wir zu den Olympischen Spielen schicken, entscheiden wir erst nach der Europameisterschaft in Rom, also im April oder Mai.


PB:
Heißt das, dass sich auch andere Sportler noch Hoffnungen auf Peking machen dürfen?


MC:
Genau genommen, ja. Da für Deutschland so viel auf dem Spiel steht, bekommt von uns der den Zuschlag, der Deutschland unserer Meinung nach in Peking am weitesten nach vorne bringt.


PB:
Welche Ziele haben Sie sich denn für die Olympischen Spiele in Peking gesteckt?


MC:
Unser Ziel ist ein erfolgreiches Abschneiden in Peking. Schön wären zwei Medaillen. Das mag zu hoch gegriffen klingen, aber ich denke, dass das im Bereich des Möglichen ist. Es kommt sehr viel auf die Auslosung an. Unsere Sportler haben aber bewiesen, dass sie sich vor niemand verstecken müssen.
Da Deutschland weltweit zu den wenigen Nationen gehört, die vier Teilnehmer nach Peking schicken dürfen, haben wir automatisch so etwas wie eine Favoritenrolle. Das heißt, dass sich viele Nationen etwas intensiver mit uns beschäftigen werden.   


PB:
Vielen Dank für das Gespräch und viel Glück bei den Olympischen Spielen in Peking.