Radikalkur für den Erfolg

 

Bereits lange vor der Weltmeisterschaft hat Musa Cicek, der für den Leistungssport verantwortliche Vizepräsident der DTU, ein Konzept ausgearbeitet. Das ehrgeizige Ziel des zweifachen Europameisters, der auch schon etliche Jahre als Bundestrainer den deutschen Damenkader betreute, klingt einfach: Deutschland soll sich endlich wieder einen Platz unter den international erfolgreichsten Nationen erarbeiten.
Im Gespräch mit Peter Bolz zieht Musa Cicek zunächst eine ehrliche Bilanz über die Weltmeisterschaft in Kopenhagen und geht dann auf das neue Konzept ein.   


Bei der Weltmeisterschaft in Kopenhagen hat Deutschland bei den Herren eine Bronzemedaille gewonnen. Sind Sie mit diesem Erfolg zufrieden.

Nein, ich bin nicht zufrieden. Weder mit der Bronzemedaille, die am Ende herausgekommen ist, noch mit den Einzelleistungen unserer Leistungsträger.

Bei der letzten Weltmeisterschaft in Peking war es anders. Da waren die Einzelleistungen im Großen und Ganzen in Ordnung, allerdings war der Erfolg nicht zufrieden stellend.

Vereinzelt gibt es schon wieder Rufe nach neuen Bundestrainern. Gibt es bald wieder Ausschreibungen?

Nein, so etwas haben wir nicht ins Auge gefasst. Es würde auch wenig Sinn machen, unter dem olympischen Zyklus das Amt als Bundestrainer neu auszuschreiben. In den letzten zwölf Jahren wurden die Ämter bei den Funktionären und bei den Bundestrainern ständig neu besetzt. Wir hatten mit Stefan Klawiter, Walter Schwarz und Heinz Gruber drei verschieden Präsidenten und mit Roland Klein, Gerald Zimmermann, Josef Wagner und jetzt meiner Person gleich vier zuständige Vizepräsidenten. Bei den Damen gab es seit 1997 bereits sechs verschiedene Bundestrainer und bei den Herren auch bereits vier Wechsel. Außer einem minimalen Auf und Ab hat sich an der Erfolgsbilanz nicht viel getan. Für mich macht es deshalb wenig Sinn, wieder nach Nachfolgern zu suchen.  

Was ist denn aus Ihrer Sicht ein erfolgreiches Abschneiden?

Unser Ziel sollte zumindest ein Platz im Viertelfinale oder eine Niederlage gegen einen Medaillengewinner sein. Wer ins deutsche Team nominiert werden will, sollte eine reelle Chance auf einen Medaillenplatz haben. Nur gut mithalten gegen Spitzenkämpfer ist einfach zu wenig. Lieber lassen wir die eine oder andere Gewichtsklasse unbesetzt.

Dann waren die ganzen Vorbereitungen für diese Weltmeisterschaft sinnlos?

Nein, so würde ich das nicht sehen. Ganz so schlecht ist es ja nun auch nicht gelaufen. Erfreulich war dieses Mal, dass wir mit einem kleineren Team zur Weltmeisterschaft gefahren sind und – zumindest was die Zahl der gewonnenen Kämpfe angeht - den gleichen Erfolg erzielen konnten.

Wir würden uns in die eigene Tasche lügen, wenn wir alles Schönreden. Auf der anderen Seite macht es aber auch keinen Sinn, wenn wir uns schlechter darstellen, wie wir wirklich sind. Wir haben uns die Erfolge der letzten sechs Weltmeisterschaften einmal genauer angeschaut. Wenn wir die WM in Garmisch einmal außer Betracht lassen, dann liegen wir – zumindest was die gewonnenen Kämpfe angeht – bei der diesjährigen Weltmeisterschaft eigentlich ganz gut im Schnitt.

Sind die Erwartungshaltungen in der deutschen Taekwondoszene zu hoch?

Wenn man die Ergebnisse der letzten Jahre anschaut, dass denke ich, dass dies tatsächlich der Fall ist. Abgesehen von Garmisch ist es schon eine ganze Zeit lang her, dass wir wirklich erfolgreich waren. Trotzdem sind viele enttäuscht, wenn bei einer Weltmeisterschaft wieder keine Top-Platzierungen herauskommen.

Wir – und damit meine ich alle, die am Leistungssport mitarbeiten, also Präsidium, der ganze Trainerstab und der Sportdirektor - könnten es uns einfach machen und erklären, dass mit dem derzeitigem Potential einfach nicht mehr zu holen war und danach alles so weiterlaufen lassen wie bisher. Wir haben uns aber dafür entschieden, ganz neue Wege zu gehen, um endlich wieder große Erfolge feiern zu können.

Wie schauen denn diese neuen Wege aus?

Zu den Neuerungen gehört zum Beispiel, dass wir Kriterien für eine Nominierung vorgeben. Bei dieser Weltmeisterschaft haben wir wegen dieser Kriterien nur 12 der insgesamt 16 Gewichtsklassen besetzt. Wir werden diese Regelung auch für die Zukunft beibehalten. Allerdings möchte ich schon betonen, dass die Kriterien nicht in Stein gemeißelt sind. Wenn es aus meiner Sicht sinnvoll ist, werden die Kriterien auch geändert.

Welche Kriterien sind denn für eine Nominierung ausschlaggebend?


Die Punkteturniere in Deutschland spielen für die Nominierung keine Rolle mehr. Wichtig ist für uns die internationale Konkurrenz. Deshalb sind für uns die Erfolge bei den A-Class-Turnieren von Bedeutung.

Um überhaupt für eine Nominierung in Frage zu kommen, muss bei einem A-Class-Turnier entweder ein Mal die Goldmedaille gewinnen oder zwei Mal auf den zweiten Platz kommen oder drei Mal im Halbfinale stehen und Bronze gewinnen. Ein Sieg bei der Deutschen Meisterschaft zählt für uns wie ein dritter Platz bei einem A-Class-Turnier.   

Nachdem ab dem nächsten Jahr in den Seniorenklassen die besten Acht gesetzt werden, dürften in Zukunft alle A-Class-Turniere vom Teilnehmerfeld her deutlich stärker besetzt sein.  


Beim Vorbereitungslehrgang in Spanien haben einige aus dem deutschen Team den Spaniern beim Sparring schwer zu schaffen gemacht. Fünf Wochen später haben die Spanier in Kopenhagen mächtig abgeräumt.

Ich war zwar nicht dabei, aber von den Bundestrainern wurde mir ähnliches berichtet. Gerade an diesem Beispiel wird aber auch deutlich, dass wir auch in Zukunft immer wieder zu den starken Nationen fahren müssen, um uns mit ihnen bei einem Lehrgang oder auch im Wettkampf zu messen. Für mich ist das eine zwingende Notwendigkeit, wenn wir den Weg zur Spitze schaffen wollen.

Bei den Lehrgängen können unsere Leute dann auch noch sehen, wie und vor allem auch wie viel die Spitzenkämpfer aus den anderen Nationen trainieren.

Wie sehen denn die weiteren Planungen für den deutschen Kader aus?

Die Saison 2009 ist für uns abgeschlossen. Unsere gesamten Planungen gehen bereits in das Jahr 2010. Was den Schwerpunkt beim Wettkampf angeht, ist unser Fokus voll und ganz auf die Europameisterschaft ausgerichtet, die Anfang Mai in St. Petersburg stattfindet. Alle von uns bereits festgelegten Planungen sind auf diese Europameisterschaft abgestimmt.

Schickt die DTU bis zur Euro zu allen A-Class-Turnieren ein Team?

Bis zur Europameisterschaft stehen noch vier A-Class-Turniere an. Die DTU wird nur zu den Trelleborg Open und den Dutch Open ein Team schicken. Zu den German Open und den Belgian Open müssen die Leute über ihre Vereine starten.


Gibt es für eine Nominierung zur Europameisterschaft auch wieder Vorgaben, die erreicht werden müssen?

Ja, in Zukunft erfolgen die Nominierungen nur noch nach erbrachter Leistung. Das gilt für alle, auch für unsere Leistungsträger.

Für die Europameisterschaft gelten die gleichen Kriterien wie die zur Nominierung für die letzte Weltmeisterschaft - also ein erster Platz, oder zwei zweite Plätze oder drei dritte Plätze bei einem der vier anstehenden A-Class-Turniere. Ein Sieg bei der Deutschen Meisterschaft in Ingolstadt zählt übrigens wie ein dritter Platz bei einem A-Class-Turnier.

Sind die Kriterien für eine Nominierung jetzt für alle anstehenden Meisterschaften die gleichen?


Nein, die vom Leistungsausschuss festgelegten Vorgaben sind natürlich nicht in Stein gemeißelt. Wenn wir der Meinung sind, dass andere Kriterien sinnvoller sind, dann werden wir diese abändern. Natürlich geben wir dann die geänderten Vorgaben bekannt.   


Weshalb bleibt Deutschland seit einigen Jahren bei den großen Turnieren im Mittelmaß stecken

Das Problem ist, dass unsere Topathleten nicht immer unter professionellen Bedingungen trainieren können. Viele gehen tagsüber in die Arbeit, zur Schule oder an die Universität und können erst am Abend trainieren. Mit so einem Trainingspensum können wir natürlich nicht gegen Nationen mithalten, bei denen die Sportler jeden Tag zwei bis drei Einheiten trainieren. Es gibt mittlerweile immer mehr Nationen, die von ihren Sportlern ein derartig hartes Pensum erwarten.  


Welche Möglichkeiten bleiben denn dem deutschen Team, um sich leistungsmäßig solchen Nationen anzunähern?

Wenn wir erfolgreich sein wollen, müssen wir endlich alle uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausschöpfen und unseren Athleten eine professionelle Vorbereitung auf die großen Meisterschaften anbieten. Eine andere Möglichkeit gibt es schlicht und einfach nicht. Der Weg zum Erfolg ist nur über ein intensives Training möglich.

Wie soll denn das Ganze in die Tat umgesetzt werden?

Zunächst muss man festhalten, dass ein professionelles Training mit dem entsprechendem Umfeld derzeit nur bei der Bundeswehr in Sonthofen möglich. Ein Großteil der Leistungsträger ist momentan bei der Sportfördergruppe beschäftigt.

Mit Waldemar Helm und Carlos Esteves stehen uns zwei hauptberufliche Bundestrainer zur Verfügung. Da auch noch Georg Streif dazu gezählt werden muss, haben wir drei Bundestrainer, die mit den Athleten täglich mindestens zwei Einheiten trainieren können. Wir haben deshalb in der DTU beschlossen, den Stützpunkt für unsere Topathleten nach Sonthofen zu verlegen, um dort eine intensive Vorbereitung durchzuführen.

Da das Team bis zur Europameisterschaft mehrere Wochen in Sonthofen verbringen wird, können die Bundestrainer bei Bedarf von den drei Assistenztrainern unterstützt werden.

Für die berufstätigen Kadermitglieder oder für Schüler und Studenten dürfte dieses Konzept aber nicht geeignet sein, oder?

Das Konzept ist auf eine Teilzentralisierung zugeschnitten und deshalb auch tatsächlich auf diejenigen ausgerichtet, die sich voll und ganz auf das Training konzentrieren können. Wer diese Möglichkeit nicht hat, muss wie bisher versuchen, sich intensiv auf die Turniere vorzubereiten. Letzten Endes ist es wichtig, die Vorgaben zu erreichen, um in das deutsche Team nominiert zu werden.


Wenn für eine Gewichtsklasse zwei Kadermitglieder die Kriterien für eine Nominierung geschafft haben und einer von ihnen in Sonthofen trainiert und einer im Verein. Wer bekommt denn dann den Zuschlag?

Zunächst immer der Athlet, der die bessere Leistung erbracht hat. Wer bei den A-Class-Turnieren die besseren Erfolge vorweisen kann, bekommt auf alle Fälle den Zuschlag.  Erst wenn alle Kriterien gleich gut sind, wird sich der Leistungsausschuss darüber Gedanken machen, wer die bessere Perspektive hat und in einem professionellen Umfeld trainieren kann.

Könnten Berufstätige oder Studenten auch nur einige Tage oder Wochenenden in Sonthofen mittrainieren?

Das muss man wohl im Einzelfall erst absprechen, um zum Beispiel die Übernachtungsfrage zu klären. Prinzipiell denke ich aber, dass das möglich ist.

Welche Rolle spielen in diesem Konzept die Heimtrainer der Athleten?

Eine Mitarbeit der Heimtrainer ist derzeit nicht vorgesehen. Wir hätten aber überhaupt nichts dagegen, wenn die Trainer auch nach Sonthofen kommen und das ganze unterstützen.

Werden auch die Internate in das Konzept eingebaut?

Ja, wir werden auch die Internate in unsere Planungen einbeziehen, da unter anderen dort ein ganz wichtiger Unterbau für die großen Jugendmeisterschaften aufgebaut werden kann. Sobald unser neues Konzept mit Sonthofen läuft, werden wir die entsprechenden Gespräche suchen. Ohne einem funktionierenden dualem System, also Schule oder Ausbildung und Sport, werden wir immer wieder sehr schnell an Grenzen stossen.

Welchen Stellenwert hat denn der Einsatz eines Psychologen?

Dass wir jetzt auch einen Psychologen in unserem Team haben, war eine Idee des Deutschen Sportbunds. Momentan ist die Arbeit des Psychologen Werner Meckler eine begleitende Maßnahme, die von den Sportlern recht gut angenommen wird. Für uns sind das neue Möglichkeiten, die der Deutsche Fußball-Bund aber schon lange in Anspruch nimmt.

Vielen Dank für das offene Gespräch.

 

Visio-WM Meilensteine.pdf

WM09-Nachbetrachtung-Herren.pdf

WM-Kampfstatistiken-95-09.pdf

DTU-J-Kalender-2010.xls

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