Servet Tazegül gewinnt seinen dritten Weltmeistertitel

 Es gibt sicherlich nicht viele Wettkämpfer, die so hart für ihren Erfolg gearbeitet haben, wie der Nürnberger Servet Tazegül. Obwohl der gebürtige Türke bereits im Jahr 2003 – damals war er 15 Jahre alt - die German Open gewinnen konnte, hatte er große Probleme, den Sprung in ein Nationalteam zu schaffen. Für das deutsche fehlte ihm der deutsche Reisepass und die Türkei wollte auch lange nichts von ihm wissen, da sie bereits mit unzähligen Talenten bedient waren. 

Um auf sein Talent aufmerksam zu machen, entschied sich Servet Tazegül dafür, sich mit Leistungen und Erfolgen auszuzeichnen. Unterstützt wurde er dabei immer von Nurettin Yilmaz, seinem Vereinstrainer vom KSC Leopard Nürnberg. „Ich war mir sicher, dass es Servet bis ganz nach oben schaffen kann – wenn er die Chance bekommt, sein Können zu beweisen.“

Der zähe Kampf hat sich gelohnt. 2004 gewann Servet im türkischen Nationalteam die Jugend-Weltmeisterschaft in Korea. Ein Jahr später wurde er Jugend-Europameister.

Danach ging alles Schlag auf Schlag. 2008 gewann er bei den Olympischen Spielen in Athen die Bronzemedaille und wurde 2011 in Korea auch noch Weltmeister. Die Krönung war aber sicherlich die olympische Goldmedaille bei den Spielen in London. Und dass, obwohl kurz vorher seine Mutter starb.  

Erst nach den Olympischen Spielen fiel Servet in ein tiefes Loch. Dabei konnte ihm auch Nerettin Yilmaz nicht helfen. „Der Tod seiner Mutter hat Servet sehr arg getroffen. Da er nur noch sehr wenig trainierte, wurden seine Leistungen immer schwächer.“ Für seinen Trainer war es deshalb auch kein Wunder, dass sein Schüler bei der Weltmeisterschaft 2013 in Mexiko bereits im zweiten Kampf ausschied.

Für die Europameisterschaft 2014 riss sich Servet noch mal kurz zusammen. Nach dem Sieg des Europameistertitels ließ er es aber wieder langsamer angehen. „Erst seit Januar 2015 ist er wieder mit vollem Herzen beim Training dabei.“ Mit Erfolg, denn bei der Weltmeisterschaft 2015 in Russland holte sich Servet Tazegül seinen dritten Weltmeistertitel. Die BTU gratuliert zu diesem grandiosen Erfolg!

Eine Gesamtübersicht von allen Erfolgen findet Ihr unter www.taekwondodata.com

Im Dezember 2005 habe ich für die Zeitschrift Taekwondo-aktuell in dem Artikel „Operation „Olympia 2008““ über den harten Weg geschrieben, den Servet Tazegül und sein Trainer gehen mussten, um einen Platz im türkischen Nationalteam zu bekommen. Wer so hart kämpft wie das Nürnberger Duo, dem kann und muss man den Erfolg vom ganzen Herzen gönnen!

Den Artikel habe ich vor fast zehn Jahren geschrieben. Da ihn wahrscheinlich viele nicht kennen oder sich nicht mehr daran erinnern können, habe ich ihn nachfolgend nochmals veröffentlicht. Der Vollständigkeit halber möchte ich aber darauf hinweisen, dass Nurettin Yilmaz die von ihm genannte Erfolgsprämie - leider - nie erhalten hat. Weshalb er leer ausging? Das ist schon wieder so eine Story.....


Taekwondo aktuell 12/2005:

Operation „Olympia 2008“

Es ist ja allgemein bekannt, dass das Leben die schönsten Geschichten schreibt. Noch schöner wird so eine Geschichte, wenn sie noch nicht vorbei ist. Dann kann jeder bis zum erhofften Happyend mitfiebern. Und genau so eine Geschichte passiert gerade in Nürnberg. Dort arbeitet seit ein paar Jahren ein junger Wettkämpfer und sein Trainer an der Verwirklichung eines Traumes: beide wollen bei den Olympischen Spielen 2008 in der Disziplin Taekwondo die Goldmedaille gewinnen.

Vor zwei Jahren hätten die meisten wahrscheinlich nur milde gelächelt, wenn Servet Tazegül, ein 17-jähriger Wettkämpfer, und sein Trainer Nurettin Yilmaz ganz offen über ihren olympischen Traum gesprochen hätten. Dass heute niemand mehr lächelt, hat handfeste Gründe. Da sind auf der einen Seite die vielen Turniersiege, die beide mittlerweile gewinnen konnten. Genauso beeindruckend ist auch die Gründlichkeit, mit der das Nürnberger Erfolgsduo bei der Planung des olympischen Gold vorgeht.

Im Alter von fünf Jahren fing Servet Tazegül beim TV Nürnberg-Süd mit dem Taekwondotraining an. Sein erster Trainer war der damals erst 24 Jahre alte Nurettin Yilmaz, der gerade seine Karriere als Wettkämpfer an den Nagel gehängt hatte, obwohl er beeindruckende Erfolge vorweisen konnte. Neben vielen anderen Turnieren gewann er unter anderem zwei Mal die Internationale Deutsche Meisterschaft. „Damals war mein größter Wunsch ein Platz in der türkischen Nationalmannschaft. Da ich damals aber arbeiten musste und deshalb nicht für mehrere Wochen in die Türkei zum Lehrgang fliegen konnte, hatte ich keine Chance. Als mir das klar war, habe ich mit dem Wettkampf aufgehört und beim TV Nürnberg-Süd das Training übernommen.“

Dass der kleine Servet das Zeug zu einem ganz großen Wettkämpfer hat, stand für Nurettin Yilmaz ziemlich bald fest. „Servet war vom Wettkampf absolut begeistert. Da er unbedingt bei den Meisterschaften zuschauen wollte, habe ich ihn schon mit sechs Jahren nach Holland und Belgien mitgenommen.“

Mit elf Jahren ging Servet zum ersten Mal bei der Bayerischen Meisterschaft an den Start, die er anschließend fünf Mal gewinnen konnte. Damals ging er für den KSC Leopard Nürnberg an den Start, den Trainer Nurettin im Jahr 1996 wieder gegründet hatte.

2003, also vor zwei Jahren, durfte Servet zum ersten Mal bei der German Open in Bonn in der Jugendklasse gegen internationale Konkurrenz antreten. Vorher war es für ihn wegen der Altersbeschränkung nicht möglich. Er gewann das Turnier, nachdem er sich im Finale deutlich gegen Tuncat Levent, dem derzeit amtierenden deutschen Europameister durchsetzen konnte.

Zu diesem Zeitpunkt war Trainer Nurettin natürlich längst klar, dass Servet ein unglaublich hohes Potential besitzt. Was ihn aber noch mehr faszinierte war die Tatsache, dass sein Schüler das in Nürnberg praktizierte Kampfsystem optimal umsetzen kann. „Servet ist in der Lage, innerhalb kürzester Zeit einen Kampf zu analysieren. Danach kann er seine Taktik blitzschnell ändern, falls dies erforderlich sein sollte. Und genau das macht ihn für seine Gegner unberechenbar.“

Mit dem German-Open-Sieg gelang den beiden Nürnbergern zwar ein großartiger Erfolg, ihrem eigentlichen Ziel sind sie dabei aber nur einen kleinen Schritt näher gekommen. Nach vielen Gesprächen waren beide davon überzeugt, dass Servet das Zeug dazu hat, in die türkische Nationalmannschaft nominiert zu werden. Natürlich gab es dabei auch die Überlegung, ob Servet die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen und sich auf das deutsche Nationalteam konzentrieren soll. Dass die Entscheidung für die Türkei ausfiel, liegt nicht nur an Heimatgefühlen. „Wenn man für die Türkei einen Titel gewinnt, bekommt man sehr hohe Siegprämien“, gibt Nurettin Yilmaz unumwunden zu.

Um vom türkischen Taekwondoverband in das Nationalteam nominiert zu werden, musste Servet mit außergewöhnlichen Leistungen auf sich aufmerksam machen. „Anders hat man als ein in Deutschland lebender Türke einfach keine Chance.“ Aus diesem Grund flog Servet mit Trainer Nurettin auf eigene Kosten im letzten Jahr zur türkischen Jugendmeisterschaft und startete in der Klasse bis 55 kg, in der siebzig (!) Teilnehmer antraten. Nachdem er alle seine sechs Kämpfe mit haushoher Überlegenheit gewonnen hatte, hatte er die lang ersehnte Nominierung in der Tasche.

Ganz so einfach, wie sich das die beide dachten, lief es dann aber doch nicht. Der türkische Verband hatte Servet zwar offiziell nominiert, wollte aber einen anderen türkischen Kämpfer zur anstehenden Jugendweltmeisterschaft 2004 mitnehmen. „Als wir das gehört haben, waren wir zunächst sehr enttäuscht. Wir rechneten uns aber noch eine ganz kleine Chance aus.“

Natürlich war sich Nurettin Yilmaz bewusst, dass man den türkischen Verband nur durch Leistungen davon überzeugen kann, lieber Servet als einen anderen Wettkämpfer zu nominieren. „Servet durfte bei den drei großen europäischen Turnieren in Holland, Belgien und bei den German Open für die Türkei starten.“ Auch dieses Mal ging die Rechnung der beiden Nürnberger wieder auf. Servet gewann alle drei Turniere - und wurde nachträglich für die Jugendweltmeisterschaft nominiert.

Mit der Nominierung in der Tasche bereitete sich das Nürnberger Erfolgsduo intensiv auf die Weltmeisterschaft vor. Die ganze Lebensweise wurde auf diesen Erfolg ausgerichtet. „Wenn Servet von einer Sache überzeugt ist, setzt er sie extrem erfolgsorientiert um. Obwohl wir außer Sonntag jeden Tag trainiert haben, hat er sich nie beklagt.“

Am 17. Juni 2005 kam Servet Tazegül bei der Jugendweltmeisterschaft ins Finale, setzte sich dort gegen Daniel Manz aus Deutschland durch und gewann mit seinem Sieg die erste und einzige Goldmedaille für die Türkei bei einer Jugendweltmeisterschaft. 

Während viele nach so einem riesigen Erfolg in ein großes emotionales Loch fallen würden, war dieser Sieg für das Nürnberger Erfolgsduo nur ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum ganz großen Ziel. Für sie ging es nun darum, vom türkischen Verband so bald als möglich eine Nominierung für die Olympischen Spiele 2008 zu bekommen. „Im Gegensatz zu anderen Nationen stellt die Türkei sehr früh einen Olympia-Kader zusammen.“

Wie umsichtig und vorausschauend Nurettin Yilmaz die Operation Olympia 2008 plant, wurde vor allem in diesem Jahr deutlich. Im Januar 2005 nahm Servet wieder an der türkischen Meisterschaft teil, die er wieder haushoch überlegen gewann. Auch der Sieg bei der Internationalen Holländischen Meisterschaft, bei der er in der Jugend antrat, ging an den Nürnberger.

In Österreich trat Servet bei den Herren in der Klasse bis 67 kg an – und gewann Gold. Bei der German Open in Bonn kämpfte der Nürnberger bei den Herren in der Klasse bis 58 kg. „Mit 62 kg war der Wechsel für Servet überhaupt kein Problem. Übrigens konnte er sich in Bonn gegen mehrere Nationalkämpfer durchsetzen, unter anderem auch gegen Dolas Kadir aus der Türkei.“ 

Die Jugend-Europameisterschaft 2005 war für den damals noch 16 Jahre alten Servet Tazegül keine große Herausforderung. Mit einer bislang wohl noch nie da gewesenen Überlegenheit gewann er das Finale gegen Italien mit 19 zu 1 Punkten.

Nach der Jugend-Euro machte der türkische Verband Nurettin Yilmaz das Angebot, als Bundestrainer in der Türkei zu arbeiten. „Das Angebot war für mich eine große Ehre. Ich habe es aber abgelehnt, da ich meinen Lebensmittelpunkt in Nürnberg habe.“ Natürlich spielte bei der Ablehnung auch der momentanen Vorbereitung auf die Olympischen Spiele eine große Rolle. „Wenn ich in die Türkei ziehen würde, wäre der Erfolg der Sache meiner Meinung nach stark gefährdet.“

Wenn es nach dem türkischen Verband gegangen wäre, dann hätte Servet nach seinen furiosen Erfolgen während der Jugend-Euro sofort bei den Senioren weiterkämpfen sollen. Die Nominierung für die Weltmeisterschaft in Madrid und der Europameisterschaft in Finnland war bereits ausgesprochen. Trainer Nurettin konnte die Verantwortlichen aber überzeugen, dass Servet dafür noch nicht bereit ist. „Es wäre nicht gut, wenn man Servet für den schnellen Erfolg verschleißen würde. In den letzten Monaten ist so viel passiert, dass er auch psychisch einfach genug Zeit braucht, um alles zu verdauen.“

Momentan dreht sich in der Türkei die Suche nach den Kandidaten für den Olympia-Kader auf Hochtouren. Während alle Gewichtsklassen noch vakant sind, wurde Servet Tazegül schon vor mehreren Wochen für die Klasse bis 67 kg in den Olympia-Kader nominiert und bekommt seit dieser Zeit jeden Monat einen Betrag von 700 US-Dollar überwiesen.

Geld ist übrigens eine große Antriebsfeder für die ganze Operation Olympiade. Sollte Servet Tazegül die ersehnte Goldmedaille gewinnen, bekommt er einen Betrag von 500.000 US-Dollar und Nurettin Yilmaz als Heimtrainer die stolze Summe von 250.000 US-Dollar.

Bei ihren Planungen wollen sich die beiden Nürnberger durch nichts aus der Ruhe bringen lassen. Für jedes Jahr haben sie sich einen Schwerpunkt mit hoher Priorität gesetzt. Im nächsten Jahr ist das die Europameisterschaft in Düsseldorf, ein Jahr später die Weltmeisterschaft in Vietnam und dann im Jahr darauf die Olympiade.

Wie eng der türkische Verband Nurettin Yilmaz als Heimtrainer in alle Planungen einbindet und ihm dabei eine gehörige Portion an Vertrauen entgegen bringt, wird bei den Absprachen hinsichtlich der mehrwöchigen Lehrgänge deutlich. Normalerweise finden diese Lehrgänge immer in der Türkei statt. Im Falle von Servet Tazegül waren die Verantwortlichen damit einverstanden, dass sich Nurettin Yilmaz wie bisher um den Trainingsaufbau kümmert. „Ich konnte dem Verband deutlich machen, dass wir in Nürnberg ein anderes Kampfsystem bzw. eine andere Kampftechnik haben. Nach einem längeren Trainingsaufenthalt in der Türkei wäre dieses Kampfsystem einfach nicht mehr harmonisch.“

Bis die Olympischen Spiele in Peking eröffnet werden, müssen Servet Tazegül und Nurettin Yilmaz noch etliche Probleme meistern. Ob ihr Traum von der olympischen Goldmedaille in Erfüllung geht, wird sich zeigen. Eins steht aber fest, beide haben ihr Glück selbst in die Hand genommen und hart dafür gearbeitet, dass ihr Traum in Erfüllung gehen kann. Und genau das ist der Stoff, aus dem die schönsten Geschichten des Lebens geschrieben werden.

Text und Fotos:
Peter Bolz