Zwei bayerische „Berliner“ in Seoul

 

Als das deutsche Nationalteam vor über dreißig Jahren in Seoul ankam und sich für die Teilnahme an der ersten Weltmeisterschaft registrieren lassen wollte, gab es entsetzte Gesichter. Auf der Liste standen nämlich bereits die Namen von zwei Wettkämpfern. Damals war die Angelegenheit ein Skandal, heute ist es eine Geschichte zum Schmunzeln.

Begonnen hat alles in München irgendwann im Jahr 1973 in der Taekwondoschule in der Thierschstraße. Damals erklärte Trainer Seo Yoon-Nam, dass in Seoul zum ersten Mal eine Weltmeisterschaft stattfinden soll. Als er hinzufügte, dass an der Weltmeisterschaft jeder teilnehmen darf, wurden Roman Mayrock und Georg Karrenberg hellhörig. Die beiden Schüler von Seo Yoon-Nam ließ die Idee nicht mehr los, bei dieser Weltmeisterschaft als Wettkämpfer anzutreten.

Für Roman Mayrock, damals 21 Jahre alt, bekam die Sache mit der Zeit einen immer stärkeren Reiz. „Es war schon lange mein größter Wunsch, endlich einmal nach Korea zu fliegen, um das Land kennen zu lernen und vielleicht auch noch meine Prüfung zum dritten Dan in Korea abzulegen. Die Vorstellung, dass ich auch noch bei einer Weltmeisterschaft mitmachen könnte, war für mich faszinierend.“

Trotz seiner erst 21 Jahre hatte Roman Mayrock in Sachen Taekwondo bereits einige Erfahrungen sammeln können. „Mit 14 Jahren fing ich bei der Sportschule Wiedmayr unter Kwon Jae-Hwa mit dem Taekwondo an. Ein paar Jahre später wechselte ich dann zum Taekwondo-Center Burgau von Jakob Beck, der dann für längere Zeit mein Trainer war.“

Was damals vollkommen normal war, klingt in der heutigen Zeit einfach unvorstellbar. Als Roman Mayrock, der damals erst 18 Jahre alt war und noch bei seinen Eltern in Waakirchen in der Nähe von Rosenheim wohnte, gegenüber seinem Trainer Jakob Beck den Wunsch äußerte, selbst auch mal ein Training zu halten, schickte ihn dieser nach Gelting, einem kleinen Ort in der Nähe von Wolfratshausen. „Der Taekwondo-Center Burgau bestand aus vielen Abteilungen in verschiedenen Regionen. Und da es in der Nähe von Wolfratshausen noch keine Abteilung gab, fiel die Wahl von Jakob Beck auf Gelting. Ich kannte niemand in dem Ort. Allerdings war ich der Meinung, dass ich ja mal versuchen kann, dort etwas aufzuziehen.“

Da es für Taekwondo damals fast unmöglich war, Trainingszeiten in einer Turnhalle zu bekommen, einigte sich Roman Mayrock mit dem Wirt der Dorfgaststätte, dass er für das Training den Nebenraum der Wirtschaft benutzen darf. „In dem Lokal gab es natürlich keine Dusche. Wenn es kalt wurde, musste ich immer eine Stunde vor dem Training den Ölofen anmachen, damit die Leute überhaupt trainieren konnten.“

Es sprach sich schnell herum, dass beim Dorfwirt ein tolles Training durchgezogen wird. Als das Interesse am Taekwondo immer größer wurde, gab es Ärger mit dem örtlichen Verein. Die Folge war, dass Roman Mayrock ungefähr sechs Monate nach der Eröffnung der neuen Abteilung vom Gastwirt gebeten wurde, sich einen anderen Trainingsraum zu suchen. „Dem Wirt tat die ganze Sache leid, aber er musste sich dem Druck der örtlichen Prominenz beugen.“

Auf der Suche nach einem neuen Trainingsraum wurde Roman Mayrock in Dorfen fündig. Der Wirt der Gaststätte „Briese“ stellte ihm seinen Nebenraum zur Verfügung. „Dort hielt ich dann bis April 1976 das Training ab.“ Während dieser Zeit trainierte Roman Mayrock, der wegen seiner Trainertätigkeit mittlerweile von Waakirchen nach Wolfratshausen umgezogen war, in der Taekwondoschule in der Thierschstraße in München unter dem dortigen Trainer Seo Yoon-Nam.

Was die Weltmeisterschaft anging, bekamen die Planungen immer festere Konturen. „Auch Georg Karrenberg, dem damals die Taekwondoschule gehörte, in der ich unter Seo Yoon-Nam trainierte, ließ die Idee mit Korea einfach nicht mehr los.“ Nachdem sich auch noch Seo Yoon-Nam bereit erklärte, mit nach Korea zu fliegen und somit die Verständigung auch kein Problem mehr war, stand auch für Georg Karrenberg und Roman Mayrock der Entschluss fest, die Reise zur Weltmeisterschaft nach Korea anzutreten.   

„Wir drei sind früher als die deutsche Mannschaft in Korea angekommen“, erinnert sich Roman Mayrock noch heute. In Seoul wurde die beiden von Seo Yoon-Nam bei der Wettkampforganisation unter der Nation „Deutschland“ angemeldet. „So wie es uns Seo Yoon-Nam erzählt hat, gab es bei der Anmeldung keine Probleme. Da wir immer noch der Meinung waren, dass es sich um eine offene Weltmeisterschaft handelte, lief für uns eigentlich alles so ab, wie wir es uns vorgestellt hatten.“

Das änderte sich allerdings, als der deutsche Präsident Heinz Marx mit dem deutschen Team in Seoul eintraf. „Heinz Marx war mächtig sauer und machte ein riesiges Theater, da wir nicht offiziell für das deutsche Nationalteam nominiert worden waren. Er sprach mehrmals mit den koreanischen Organisatoren und versuchte alles, um zu verhindern, dass wir beide für Deutschland an den Start gehen dürfen.“

Als der Streit zwischen den Organisatoren wegen des Einspruchs des deutschen Präsidenten immer weiter eskalierte, führte Seo Yoon-Nam etliche Gespräche auf der höchsten Funktionärsebene. „Ich weiß zwar nicht mehr, mit wem er alles gesprochen hat, aber irgendwann kam er zu uns und erklärte uns grinsend, dass jetzt alles geklärt sei. Als wir ihn fragten, wie er das geschafft hätte, erklärte er: „Ihr startet jetzt für Berlin.“

Als Heinz Marx erfuhr, dass die beiden bayerischen Kämpfer jetzt als „Nation Berlin“ an den Start gehen sollen, verlor er – wie später von verschiedenen Seiten bestätigt wurde – vollends die Fassung. Da die Stadt Berlin damals noch in Ost-Berlin und West-Berlin geteilt war, befürchtete er politische Verwicklungen mit der damals noch existenten DDR. Das war auch der Grund, weshalb sich in Seoul auch die deutsche Botschaft und das Konsulat mit der Angelegenheit beschäftigten.

Um das Problem ohne großes Aufsehen zu lösen, einigte man sich darauf, dass  Georg Karrenberg und Roman Mayrock dann doch unter „Germany“ an den Start gehen sollten und in der Pool-Liste als Teilnehmer aus „Germany“ eingetragen wurden. In der Teilnehmerurkunde, die alle Wettkämpfer überreicht bekamen, stand bei den beiden unter Nation wieder „Berlin“.

Von dem ganzen Gezerre, das hinter der Bühne stattfand, bekam Roman Mayrock recht wenig mit. „Für uns war eigentlich nur wichtig, dass wir bei der Weltmeisterschaft kämpfen durften.“

Bei der Einteilung in eine der beiden Gewichtsklassen erlebte Roman Mayrock eine kleine Überraschung. Während Georg Karrenberg im Leichtgewicht starten durfte, landete er mit seinen gerade mal 65 Kilogramm im Schwergewicht. „Ich wusste nicht, dass ich mit 64 Kilo auch ins Leichtgewicht gekommen wäre.“

Im ersten Kampf musste Roman Mayrock, der von seinem Trainer Seo Yoon-Nam gecoacht wurde, gegen Raymond Sell antreten. „Da der Amerikaner in etwa nur zehn Kilo schwerer war als ich, kam ich recht gut mit ihm  zurecht.“ Im Gegensatz zu vielen anderen Wettkämpfern, die bei der Weltmeisterschaft zum ersten Mal eine Kampfweste anhatten, hatte der Münchner damit keine Probleme. „In München haben wir schon lange vor unserer Korea-Reise mit der Kampfweste gekämpft.“

Den Kampf gegen Raymond Sell verlor Roman Mayrock knapp nach Punkten. Der Amerikaner kam am Ende auf den dritten Platz.

Wesentlich besser lief es in Seoul für Georg Karrenberg. Nach drei Siegen musste er erst im Halbfinale gegen den späteren Weltmeister Lee Ki-Hyeong eine Niederlage einstecken. Da sich auf der anderen Poolseite der in das deutsche Team nominierte Armano Chavero ins Finale vorkämpfen konnte und dort ebenfalls gegen Lee Ki-Hyeong unterlag, holte sich Deutschland im Leichtgewicht gleich zwei Medaillen.

Trotz der unerwarteten Bronzemedaille von Georg Karrenberg wollte bei den deutschen Funktionären keine rechte Freude über den Kampfeinsatz der beiden bayerischen Wettkämpfer aufkommen. Nach der Weltmeisterschaft bekam Roman Mayrock zu Hause in Deutschland nämlich noch Besuch von der Polizei. Ihm wurde vorgeworfen, dass er in Seoul unberechtigt für Deutschland an den Start gegangen sei. „Ich habe dem Beamten erklärt, wie sich alles abgespielt hat. Danach war die Sache erledigt. Wer diese Sache bei der Polizei angezeigt hat, weiß ich allerdings nicht.“

Nach der Weltmeisterschaft setzten Georg Karrenberg und Roman Mayrock  ihr Vorhaben in die Tat um und nahmen in Korea an einer Danprüfung teil. Für Roman Mayrock war das ein Moment, an den er sich bis heute noch gerne erinnert. „In Seoul habe ich meine Prüfung zum dritten Dan bestanden. Und darauf bin ich heute noch stolz.“

Übrigens mussten die beiden bayerischen Wettkämpfer tief in die Tasche greifen, um den Ausflug nach Korea zu finanzieren. Für die 10.000 DM, die der ganze Aufenthalt kostete, musste Roman Mayrock, der als Metzger monatlich ungefähr 500 DM verdiente, viele Opfer aufbringen. „Mein Vater hatte zwar eine eigene Metzgerei mit einer Wirtschaft, den Ausflug nach Korea habe ich aber von meinem ersparten Geld finanziert.

Im April 1976 ging für Roman Mayrock das Kapitel Taekwondo ziemlich abrupt zu Ende. Für viele war sein Schritt, ganz mit dem Taekwondosport aufzuhören, nicht ganz nachvollziehbar. „Bei meinem Aufenthalt in Korea habe ich feststellen können, dass die Koreaner eine eher philosophische Einstellung zum Taekwondosport haben. Damals konnte man in Deutschland diese Einstellung nicht ausleben. Nach der Weltmeisterschaft habe ich deshalb auch oft mit dem Gedanken gespielt, wegen des Taekwondo nach Korea auszuwandern.“

Da sich zu dieser Zeit auch noch im privaten Umfeld von Roman Mayrock durch den frühen Tod seines Vaters vieles radikal änderte und er im April 1976 seine Ausbildung bei der Polizei begann, nutzte er diesen Zeitpunkt, um sein ganzes Leben neu zu ordnen. Und dazu gehörte eben auch die Trennung vom Taekwondosport. „Seit meinem Eintritt bei der Polizei habe ich nie mehr einen Tobok angezogen.“

Aber auch heute noch, als mittlerweile 54-jähriger Polizeibeamter, denkt er immer noch gerne an seine Zeit als aktiver Taekwondoka und natürlich auch an seine Teilnahme an der ersten Weltmeisterschaft zurück.