Das erste Training vor dem Unterricht

 

Mit dem Beginn des neuen Schuljahres hat sich für zwölf Mitglieder des bayerischen Landeskaders ein Traum erfüllt. Sie gehören nämlich zum kleinen Kreis der Auserwählten, die vor der ersten Unterrichtsstunde erst einmal Taekwondo trainieren. Ermöglicht wurde das ganze durch ein Projekt, das zwischen der Bayerischen Taekwondo Union und der Bertolt-Brecht-Schule in Nürnberg ins Leben gerufen wurde.

Bei der Bertolt-Brecht-Schule handelt es sich um einen großen Gebäudekomplex im Nürnberger Ortsteil Langwasser, in dem neben dem städtischen Gymnasium auch eine städtische Realschule und eine staatliche Hauptschule untergebracht sind. Das Besondere an dieser Schule ist, dass sie den sportlich besonders talentierten Schülerinnen und Schüler ab der 5. Jahrgangsstufe dabei hilft, dass diese ihr sportliches Talent und ihre schulische Ausbildung optimal miteinander verbinden können. Aus diesem Grund in Bayern an so genannten „Partnerschulen des Leistungssports“ spezielle Leistungssportklassen eingerichtet.   

Nachdem festgestellt wurde, dass auf dem Sektor der sportlichen Nachwuchsförderung bisher viel dem Zufall überlassen wurde, startete das bayerische Kultusministerium ab dem Schuljahr 1998 das Projekt der Partnerschulen. Allgemein hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Kinder und Jugendlichen vor dem Dilemma stehen, ihr Engagement für den Leistungssport so auszuführen, dass dabei die schulischen Anforderungen nicht zu kurz kommen. Und genau an diesem Punkt kann die Schule nach Meinung von Dr. Harald Schmidt, dem Leiter der Bertolt-Brecht-Schule, den Leistungssportlern hilfreich zur Seite stehen. „Letztendlich helfen wir den Schülern mit einem auf sie zugeschnittenen Zeitmanagement und einer auf sie zugeschnittenen Stundenplangestaltung, bei der wir die Trainings- und Wettkampfzeiten berücksichtigen.“

Die sportliche Ausbildung der Talente orientiert sich an den bundesweit geltenden Trainingskonzepten für Nachwuchsförderung und beträgt je nach Alter 12 bis 18 Stunden pro Woche. Die Schüler haben dabei bis zu fünf Mal in der Woche von 7.30 bis 9.15 Uhr Verbandstraining und werden dann von der Sportstätte zur Schule zurück begleitet. Um 9.45 Uhr beginnt dann der reguläre Unterricht.

Dieses Training, das unter der Federführung des Sportverbandes durchgeführt werden muss, findet beim KSC Leopard Nürnberg in der Halskestraße unter der Leitung von Nurettin Yilmaz, dem Landestrainer für Schulsport, statt. Von ihm werden ins seinem Verein deutsche und europäische Meister sowie Weltmeister trainiert. Deshalb sind die zwölf bayerischen Kadermitglieder bei ihm in den besten Händen.

Das Abendtraining absolvieren die Schüler normalerweise bei ihrem Heimatverein. Es steht ihnen aber auch frei, ins Training bei der Taekwondoschule Özer in Nürnberg zu gehen. Das Angebot wird schon alleine deshalb immer wieder angenommen, da auch dort sehr viele international erfolgreiche Wettkämpferinnen und Wettkämpfer trainieren. Nur am Rande sei vermerkt, dass der Landes- und Stützpunkttrainer Özer Gülec die 18-jährige bayerische Olympiahoffnung Sümeyye Gülec hervorgebracht hat und nach wie vor betreut. Mit etwas Glück kann sie bei den Olympischen Spielen 2008 an den Start gehen.

Ob das Projekt mit der Bertolt-Brecht-Schule weiter ausgebaut werden kann, lässt sich aus der Sicht von BTU-Präsident Reiner Hofer momentan noch nicht beantworten. „Man muss einfach abwarten, ob bei den derzeit angemeldeten Schülern eine positive Entwicklung erkennbar ist und ob es weiterhin so viele Anfragen gibt, wie dieses Mal.“

Interview Reiner Hofer


TA:
Wie kam denn der Kontakt zur Bertolt-Brecht-Schule zustande?


RH:
Im letzten Jahr war ich auf der Suche nach einer Schule, weil ein Kadermitglied aus dem Nürnberger die Mittlere Reife nachmachen wollte. Dabei habe ich dann von dem Projekt mit der Partnerschule gehört und in der Bertolt-Brecht-Schule um ein Gespräch gebeten.

TA:
Wie war denn die Reaktion von der Schulleitung?


RH:
Dort war man gleich sehr aufgeschlossen. Der Schulleiter, Herr Dr. Harald Schmidt, gab mir sofort zu verstehen, dass Taekwondo optimal in das Sportkonzept der Bertolt-Brecht-Schule passt. Bis dann aber alle Vorgaben umgesetzt werden konnten, mussten aber noch einige Hürden genommen werden.

TA:
Wie ging es denn weiter?


RH:
Zunächst haben wir beim Kultusministerium ein schlüssiges Konzept vorgelegt, dass von unserem Landestrainer Marco Scheiterbauer ausgearbeitet wurde. Dank dieser hervorragenden Arbeit bekamen wir grünes Licht und mussten dann unser Konzept in die Praxis umsetzen. Dabei zeigte sich wieder einmal, dass es eine Sache ist, was auf dem Papier steht, und eine andere, wie man es danach realisiert.

TA:
Wo lagen denn die Schwierigkeiten?


RH:
Da das Interesse bei den Kadermitgliedern aus Nürnberg und der Umgebung recht groß war, war unser größtes Problem die Frage nach einem geeigneten Trainer. In Nürnberg hatten wir das Glück, dass sich Nurettin Yilmaz, einer der erfolgreichsten Vereinstrainer vom KSC Leopard Nürnberg, bereit erklärt hat, die Schüler vor dem Schulbeginn zu trainieren.

TA:
Wie viele Anmeldungen gab es denn für die Leistungssportklassen?

RH:
Da die Bertolt-Brecht-Schule einen sehr guten Ruf hat, hatten wir in kürzester Zeit gleich 26 Anmeldungen, und zwar von der 5. bis zur 11. Klasse. Leider hatten wir für das erste Jahr nur zwölf Plätze zur Verfügung und mussten etliche Absagen schreiben.

TA:
Ein Problem ist
oft auch die Finanzierung solcher Projekte. Wie sieht es denn damit aus?

RH:
Die finanzielle Abwicklung läuft zum Großteil über uns als Fachverband. Dies war uns deshalb wichtig, da wir dadurch auch eine entscheidende Einflussmöglichkeit auf die weitere Entwicklung des Projekts haben. Ganz ohne Zuschuss müssen wir die Sache aber auch nicht finanzieren.

TA:
Momentan steht der Weg in die Bertolt-Brecht-Schule ja nur Schülern aus Nürnberg und Umgebung offen. Können sich für das nächste Schuljahr auch Kinder bewerben, die weiter weg wohnen?

RH:
Obwohl die weiteren Planungen in dieser Sache noch völlig offen sind, haben wir diesen Punkt bereits geklärt. Wer eine Leistungssportklasse der Bertolt-Brecht-Schule besuchen will und nicht jeden Tag nach Hause fahren kann, könnte im Don-Bosco-Heim in Nürnberg wohnen. Dort ist eine pädagogische Betreuung rund um die Uhr gesichert.

TA:
Vielen Dank für das Gespräch.